Mit einer neuen Haushaltsordnung in die Zukunft

von Fred Frohofer

In der westlichen Welt geht es uns relativ gut – auf Kosten anderer und der Natur. Doch je «zivilisierter» wir leben, desto globaler ist die Arbeitsteilung für die Produktion. Und so sind wir enorm abhängig von Dingen, die wir nicht beeinflussen können. Weder wissen wir konkret, wie etwa in China fabriziert wird, noch können wir kaum ethische und ökologische Verantwortung durchsetzen. Kein Wunder, bei den unzähligen Arbeitsschritten. So ist eine verantwortungsvolle und ressourcenschonende Lebensweise nicht möglich.

Den gesamten Warenhaushalt gilt es möglichst nah und kooperativ zu halten. Um relevante Ansatzpunkte zu finden, müssen wir erstmals Überblick gewinnen. So ist es hilfreich, wenn wir in raumbezogenen Modulen denken; in all diesen Räumen soll möglichst verantwortungsvoll gehandelt werden. 

Insbesondere Computer lassen sich nur global beschaffen: Software aus dem Westen, Hardware aus dem Osten. Praktisch alles andere können wir aus kleineren und dadurch überschaubareren Räumen gewinnen. Subkontinente, in unserem Fall Eurasien, liefern etwa Metalle und Geräte sowie Südfrüchte und Textilien. Weine, Speiseöle, Käse und Fleisch sollten dagegen aus unserem eigenen Territorium stammen. Holz und Baumaterial – und damit Wohnungen und Möbel – Milchprodukte, Gemüse, Obst und Hülsenfrüchte können in der Region produziert werden. 

Langwierige Partnerschaften mit «naheliegenden» Produzenten und Händlern, die sich naturnahen Kreisläufen verpflichten, erlauben einen wichtigen Schritt zu einer Lebensweise, welche den Planeten nicht überlastet. Und kooperative Netzwerke sind auch kapitalistischen Wirren bestens gewachsen. Erklären wir «kurze Wege» zu einem wichtigen Kriterium, verringern wir die erheblichen Belastungen und Kosten des Transportwesens, gewinnen Zeit, erhalten räumlichen Bezug zur Materie und stiften Beziehungen.

Kurze Wege sind auch in unserem persönlichen Leben gefragt: Alles zum täglichen Leben in Fahrrad oder Gehdistanz vorzufinden, spart nicht nur Geld, Ressourcen und Zeit, sondern steigert die gesamte Lebensqualität. Oder mögen Sie es, Ihre Freizeit per Auto zusammenzusuchen, in Staus zu stecken, Feinstäube und Abgase einzuatmen und erst nach langem Suchen endlich einen Parkplatz weit ab vom Zielort zu ergattern? Hoffentlich nicht. Über kurz oder lang müssen wir wegkommen von isolierten Dörfern, Streusiedlungen und Einfamilienhaushalden die bedingen, dass Bewohnende jeden Tag 40 km und mehr abspulen, um den Alltag mit Arbeit, Schule, Kultur und Freizeit zu bewältigen. 

Das Leben sollte also möglichst urban sein. Durch ihre Dichte, die Konzentration von Dienstleistungen, Kultur und Wohnen, helfen Städte im Endeffekt, die Natur zu schützen und Ressourcen zu schonen – sie haben heute schon Funktionen, die wir den sogenannten Basisgemeinden zusprechen. 

Basisgemeinden sind für Bildung, Sozialwesen und Gesundheitsversorgung zuständig – und künftig wohl auch für die dezentrale Energieversorgung und Recycling. Zudem betreiben Basisgemeinden Säle, Stadien und dergleichen für Veranstaltungen. 

Die nächst kleinere «Haushaltseinheit» ist die «Multifunktionale Nachbarschaft». Dabei kann es sich um eine bestehende oder um neue Siedlungen handeln. Wichtig ist, dass darin 350 bis 800 Personen – im Schnitt etwa 500 – in gegenseitig gut erreichbarer Distanz wohnen und möglichst auch arbeiten. Diese Menge hat viele Vorteile: So wird die gemeinsame Infrastruktur finanzierbar und kann optimal genutzt werden. Bei 500 Menschen sind die Kompetenzen mannigfaltig; es finden sich genug Leute, um die Infrastruktur zu betreiben, auch wenn nicht alle partizipieren – was wir niemals erwarten können. Und zudem kann man jenen Menschen, die man weniger mag, gut aus dem Wege gehen. 

Jede Nachbarschaft betreibt ein Mikrozentrum, welches den täglichen Bedarf abdeckt. So ist ein Hammam möglich – um das energetisch zu verantworten, können die Wohnungen mit Duschen anstelle von Badewannen ausgerüstet sein. Ebenso kann eine Kinderkrippe realisiert werden. Weiter bieten sich eine Bibliothek, ein Reparaturservice etwa für Fahrräder, eine Wäscherei, ein Gästehaus, ein Geräteverleih und so weiter an. Was sicher dazugehört, ist eine Grossküche und ein Restaurant, sowie das vorrangigste Infrastrukurelement: das Lebensmittellager. Denn 28 Prozent, also über ein Viertel der gesamten Umweltbelastung, generiert die Lebensmittelproduktion. Da kann der Hebel sehr effektiv angesetzt werden.

Mindestens 60 Prozent der gesamten Lebensmitteln kann von Landwirtschaftsbetrieben in der Nähe umweltgerecht produziert und zur Verfügung gestellt werden – am besten mit direkten vertraglichen Bindungen. So wird bei Verpackung und Transport eingespart und gleichzeitig die Qualität gesteigert: Die Produktlieferung erfolgt in Erntekisten – frisch und direkt. Werden zudem Milcherzeugnisse und Fleisch mittels Vertragslandwirtschaft beschafft, geht es mit der realisierbaren Versorgungsquote wesentlich näher an die 100 Prozent.

Vertragslandwirtschaft ist so zu verstehen: Die Bewohner der Nachbarschaft finanzieren den Agrarbetrieb, also die Bodennutzung und die Löhne. Dafür erhalten sie die Erzeugnisse ohne Umwege ins Lebensmittellager zugestellt. Das ist für die Bewohnerschaft an sieben Tagen 24 Stunden zugänglich und bietet auch weitere Güter aus fairem Handel an. Die Bewohner müssen also nichts mehr in ihren eigenen Kühlschränken und Kästen horten, sondern können sich laufend bedarfsgerecht im Lager eindecken. 

Je nach Ausgestaltung kann die vertragslandwirtschaftliche Bindung genossenschaftlich oder als Abonnement ausgelegt sein. Wünschenswert sind Modelle, bei welchen die Nachbarschaftsbewohner beispielsweise zwei Tage pro Jahr mitarbeiten; das erhöht Vertrauen und Zuspruch enorm und macht Freude. Wenn es der Agrarbetrieb erlaubt, kann er der Nachbarschaft gar zur Naherholung dienen.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Durch die Umgehung des Detailhandels werden die Lebensmittel preisgünstiger. Die Bewohner kennen die Produktionsbedingungen, die mindestens nach biologischen oder permakulturellen Kriterien ausgelegt sein sollten. Der Landwirtschaftsbetrieb hat ein sicheres Einkommen und ist nicht den Handelspreisen und Schuldzinsen unterworfen. Zudem kann er sich seiner Zielgruppe anpassen, weil er sie direkt vertritt. Stadt- und Landbewohner erhalten Bezug zueinander, die Städter lernen naturnaher zu leben – mindestens was die Saisonalität betrifft. Und die Transportwege sind kurz.

Es dürften nicht alle saisonalen Erzeugnisse der Agrarbetriebe im produzierten Masse nachgefragt werden. Da sich die Grossküche im Lebensmittellager bedient, kann sie mit ihrer Kreativität allfällige Überproduktion meistern; sei es durch direkte Verarbeitung oder durch Konservierung. Apropos kochen: Selbstverständlich kann in den Wohnungen der Nachbarschaft gekocht werden – Grossküchen und dergleichen sind Zusatzangebote, welche die Nachbarschaften sozialer, ökologischer und viel spannender als konventionelle Siedlungen machen. 

Für den Betrieb der Mikrozentren empfehlen wir pro Betriebseinheit wie Gastro, Wäscherei, Badeanlage, Tauschservice/Bibliothek etc. mindestens eine Stelle in Lohnarbeit zu schaffen. Damit wird die Professionalität gesichert. Zudem dürfen oder müssen sich die Bewohner mit Freiwilligenarbeits-Einsätzen beteiligen. Vier Stunden pro Bewohner und Monat können als Richtwert angenommen werden. Damit ist bereits ein reichhaltiges Angebot möglich. Dieses macht individuelle Hausarbeit teilweise obsolet und kompensiert so den Zeitaufwand für jeden Einzelnen. 

Obwohl in multifunktionalen Nachbarschaften Menschen in Lohnarbeit angestellt sind, werden die Lebenskosten unter dem Strich tiefer ausfallen. Denn wenn ich mir eine Bohrmaschine ausleihen kann, muss ich sie mir nicht kaufen. Wenn die Lebensmittel kooperativ in der Nachbarschaft verarbeitet werden, muss ich die «Veredelung» durch die Lebensmittelindustrie nicht mitfinanzieren. Wenn ich die Badeanlage vor der Tür nutzen kann, muss ich mich nicht ins Auto setzen, und so weiter. Multifunktionale Nachbarschaften bilden eine attraktive Art der Ressourcenschonung und Einsparung – was jedoch einige tiefgreifende Eingriffe in die bisherigen Konsum- und Siedlungsmuster erfordert.

Diese Eingriffe sind langfristig genau so unumgänglich, wie ein gewisses Mass an Relokalisierung – dagegen wirken allerdings auch künftig positive Skaleneffekte der Zentralisierung und Massenproduktion. So gilt es ein optimales Mittelmass zu finden: Je höher und öfter Bedarf anfällt, desto eher wird sich künftig relokalisierte Produktion lohnen. Heute verzerren jedoch noch die viel zu tiefen Transportkosten, Ausbeutung über Währungsgewinne sowie schlechte Arbeitsbedingungen den direkten Vergleich. 

Im Jahr 2009 wurden in Deutschland rund 20 Milliarden Euro in Werbung investiert. Diese Beinflussung lässt uns etwa glauben, der Sozialstatus einer Person sei von seinen Konsumgütern abhängig; Selbstwert aus dem Shopping-Center – ab Stange. Nachbarschaften und Mikrozentren fördern reelle Partizipation, die Konsumkraft ist dagegen kein relevanter Faktor mehr. Wenn das «neue Leben» etabliert ist, werden sich die Menschen nicht mehr für eine hohe Ertragskennzahl abrackern wollen, die ihnen selbst nichts bringt, jedoch bedingt, sich auf eigene Kosten «konsumreparieren» zu müssen – was nie richtig klappen kann.

Wenden wir uns folglich ab vom Konsum, hin zum Bedarf und Genuss. Und da sind Mikrozentren ein guter Lösungsansatz für Städte. In Innenstädten können Laden-Etagen dafür verwendet werden; ein Mikrozentrum muss nicht zwingend an einem Ort lokalisiert sein. In Agglomerationen lassen sich Erdgeschoss-Wohnungen zu Mikrozentren umbauen; die sind ja als Wohnung unbeliebt. 

Bei Neubauten ist indes die Integration am einfachsten. Da dürfte die kostengünstige und verlässliche Nahversorgung Hauptanreiz für Bewohner sein. Wer zieht eine anonyme, leblose Siedlung einem «Dorfleben» mit umfassender Infrastruktur vor? Wohl kaum jemand. 

Bei bestehenden Siedlungen empfehlen wir schrittweise vorzugehen. So kann man bspw. einen Verein oder eine Genossenschaft gründen, um ein Lebensmittellager oder ein Gemüsegarten in Betrieb zu nehmen. Dann in einer anderen Gruppe vielleicht eine Kinderkrippe. Und so fort. Von den Funktionen der Mikrozentren haben die Nachbarschaftsbewohner einen direkten Nutzen; sie erhalten täglichen Bedarf gedeckt, können sich einbringen und werden nicht zur Geldkuh degradiert – so dürften sich Mikrozentren etablieren.

Die Politik tut gut daran die Rahmenbedienungen zu optimieren: Das beginnt bei vernünftig-kleinen Betriebs-Auflagen oder beim zur Verfügung stellen von Räumen und Land zum Bauen oder zum Gärtnern. Nachbarschaftliche Strukturen machen Wohnlagen attraktiv, bieten Arbeitsmöglichkeiten – auch in der Landwirtschaft, senken die Lebenshaltungskosten. Natürlich bedingt das Investitionen. Doch das Geld ist grundsätzlich vorhanden, es geht nur darum, es in die richtige Richtung zu lenken.

Aus gesellschaftlicher Sicht ist die Umgestaltung unseres Konsum- und Mobilitästverhaltens überlebenswichtig, da Klimaveränderungen Tatsache sind und wir ihre Auswirkungen immer mehr zu spüren bekommen. Wir müssen mit weniger Energie auskommen, weil wir uns aufs postfossile und möglichst auch aufs postnukleare Zeitalter zubewegen. Und wir werden uns über kurz oder lang von den bestehenden Finanzstrukturen verabschieden müssen.

In jedem Fall sind möglichst «naheliegende» Lösungen gefragt: Den Auswirkungen der Schuldenkrise kann man mit zinslosen oder schwindenden Lokalwährungen begegnen. Die Klimaveränderungen wird vor allem die Hochleistungslandwirtschaft tangieren; lokale landwirtschaftliche Diversität kann sich dagegen viel besser auf die unumgänglichen Veränderungen einstellen. Und schliesslich ermöglichen kostenlose Produktionsmitteln wie Wind, Sonne und Biomasse auch lokale Energieautarkie: Das beste Mittel gegen die kommende Ölkrise.

Multifunktionale Nachbarschaften und Basisgemeinden können mehr als die Produktionsmittel für die Lebensmittelerzeugung selber in die Hand nehmen, sondern gar die wichtigsten Lebensgrundlagen abdecken: Energieerzeugung – Energie wird zwangsläufig teurer werden, dies spielt Kleinkraftwerken in die Hand –; Faserproduktion und -verarbeitung für Textilien und Verbundstoffe; Rezyklieren und damit Rohstoff-Rückgewinnung sowie die Baustofffabrikation sind die offenbarsten Instrumente für eine Resilienz, die künftig unser Überleben sichert. Unabdingbar ist aber die Vernetzung: In Nachbarschaften, in Basisgemeinden, territorienweit und global: Die seriösen Interessen am nachhaltigen Wandel müssen gebündelt werden. Nur so schaffen wir die wirklich wichtige Wende – und krachen nicht allesamt gegen die Wand.

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